Desafinado, zu deutsch „verstimmt“ oder „slightly out of tune“ wie die englischen Lyrics andeuten, ist eines der bekanntesten Stücke Tom Jobims. Es ist seine musikalische Antwort auf Kritiker, die sich mit dem Sound des Bossa Nova nicht so richtig anfreunden konnten.
In dieser berühmten Einspielung von Stan Getz und Charlie Byrd wird das Stück in F-Dur gespielt, so wie es im Jazz-Bereich heute meistens üblich ist.
Joao Gilberto spielte das Stück gerne in D-Dur wodurch einige schöne Open-String-Voicings möglich werden. Höre dir seine Live-Version an und folge den Akkorden:
Joao Gilberto - Seine Akkorde
Gleich zu Beginn findest du ein typisches Joao Gilberto-Voicing: den DMaj7-Akkord mit F# (also der Terz des Akkords) im Bass. Von dort aus beginnt eine geschickte Stimmführung durch die Harmonien von Desafinado.
Beobachte zum Beispiel die versteckte Melodielinie innerhalb der ersten drei Akkorde (DMaj7 – E7 – Em7): Der Ton A (Die Quinte von DMaj7) wird einen Halbton erniedrigt zu G# (der Terz von E7) und wiederum einen Halbton tiefer geführt und somit die kleine Terz von E-Moll7.
Solche Stimmführungen (engl.: Guide Tone Lines) geben den harmonischen Verbindungen Struktur und es lohnt sich diese auch in seinem Gitarrenspiel herauszuarbeiten. Oftmals handelt es sich wie in diesem Beispiel um Mittelstimmen, die zwischen Bass- und Melodiestimme ein Eigenleben entwickeln.
Die folgenden Akkorde sind typisch für den Bossa Nova-Stil: der verminderte F°7(b13) funktioniert als chromatischer Verbindungsakkord zu der II-V-Verbindung nach E-Moll (F#m7b5 ist der zweite, B7b9 der fünfte Akkord der E-Moll-Tonleiter).
Die zweite Hälfte des ersten Teils beginnt wie angedeutet auf einem E-Moll7-Akkord (in diesem Fall ein schönes Voicing mit dem Optionston F#, also der None). Nun kommt ein ungewöhnlicher kompositorischer Kniff: über die Zwischendominante F#7 werden die Harmonien nach B-Dur geleitet. Üblicherweise würde man hier den parallelen Moll-Akkord B-Moll erwarten, aber Tom Jobim schafft es diesen ungewöhnlichen Tonartwechsel nahezu mühelos einzubinden. Es folgen zwei weitere Zwischendominanten: B7(b9) leitet zu E7(9), der Doppeldominante.
Bevor es in die Wiederholung geht hat sich der Komponist noch einen schönen Akkord vorbehalten. Der EbMaj7 Akkord ist auf den ersten Blick ungewöhnlich in der Tonart D-Dur. Allerdings ist es ein im Jazz üblicher harmonischer Vorhalt den Akkord der verminderten zweiten Stufe (gerne auch als Major7-Akkord) vor der Rückkehr zur Tonika einzufügen.
Es folgt eine Wiederholung des ersten Teils und darauffolgend ein langer zweiter Teil in dem es zwei weitere Tonartwechsel, viele Zwischendominanten und andere entlehnte Akkorde zu entdecken gibt.